(von Manfred Schmidt)
Einleitung:
Die Entstehung des Schützenwesens reicht bis weit in das Mittelalter zurück. Die Bruderschaften hatten in dieser Zeit die Aufgabe, Haus und Hof in den Kriegszeiten, bei Seuchengefahren und Glaubensstreitigkeiten zu schützen, besonders aber vor Gesindel, brandschatzenden Banden und Räubern zu verteidigen. Sie waren reine Selbstschutzgemeinschaften. Diese Gemeinschaften und „Schützengilden" erfuhren große Unterstützung und die „Schützen" nahmen an öffentlichen Veranstaltungen teil, traten sogar als Veranstalter und schützende Organisation auf, insbesondere bei kirchlichen Veranstaltungen.
Als die Schutzfunktionen von den Söldnern übernommen wurden, verlor die Schützengilde an Bedeutung, so dass die Schützen dazu übergingen, Wettbewerbe mit Schießübungen zu veranstalten: das Schützenfest war geboren und aus den Schützengilden wurde eine reine bürgerliche Vereinigung mit starker Bindung zur Kirche.Die Schützengilden entwickelten sich zu Bruderschaften.
Es kamen neben dem Schutz bei kirchlichen Feiern und Prozessionen auch karitative Aufgaben hinzu. Ein Schutzpatron wurde erwählt. Die meisten Bruderschaften entschieden sich für den hl. Sebastianus. Durch diese Schwerpunkte – wehrhafter Schutz, verbunden mit Disziplin, Nächstenliebe und Gebet – entwickelte sich das eigentliche Wesen der Schützenbruderschaften. Aus diesem Grund heraus entstand die bis in die heutige Zeit bindende Parole „Für Glaube, Sitte und Heimat".
Abt Stephan Schröder, aus der Benediktinerabtei Königsmünster in Meschede analysierte Glaube, Sitte, Heimat mal bei einem Festvortrag:
Er verband diese Begriffe mit dem Benediktinischen Leitwort „ora et labora":
Aus dem Glauben die Kraft für den Alltag schöpfen; sich ehrenamtlich engagieren, soziale Aufgaben übernehmen und offen gegenüber Gott und den Menschen; sich auf die Wurzeln der Heimat zu besinnen, dem Fremden Gastfreundschaft gewähren und ihm Heimat vermitteln.
Schützenkönig:
Ich bin Schützenfestmontag geboren. Mein Vater war Fahnenträger im Schützenvorstand, ein Schützenbruder halt. Papa hätte sich sicher gefreut, wäre stolz, wenn er den Vogel hätte fallen sehen, denn es ist nicht allen vergönnt, auch wenn sie gewollt hätten oder mit der Waffe unter der Vogelstange um die Königswürde gerungen haben.
Ich habe die, die schießen, immer beneidet, habe mich aber trotz des enthemmenden Alkohols nicht getraut.
Freunde und Bekannte haben mich motiviert: „Schieß doch mal."
Und im Vorfeld wird immer gemunkelt, wer's werden könnte, wer schießt?
Macht man was am Haus oder fegt man die Straße, kommt die Frage „Willst Du schießen?" Oft kommt es anders.
Montags morgens:
Anfangs ließen mich meine Eltern bewusst schlafen, wohl aus Angst, dass ich vielleicht schieße!!??
Beim ersten vernommenen Schuss ging es dann im Laufschritt direkt ohne Frühstück zur Vogelstange, später dann zum Antreten zu Seemers.
Zunächst wird noch kurz vom letzten Abend erzählt, man quält sich das erste Bier rein. Dünnebacken Heinz trinkt wie immer zuvor als erstes einen Korn und freut sich dann, wenn es ihm gut geht. Es ist zum Schütteln.
Geht man den Schützenweg rauf, schauen die „Zapfer" neugierig nach der Anzahl der Schützen und rufen dem Einen oder Anderen „Viel Glück" zu.
Dann aufstellen zum Gebet. Es beginnt mit einem „Vater unser..." zu Letzt: „Gut Schuss", und nun beginnt die Nervosität. Soll ich nicht doch, was ist dann...?
Warten wir mal ab, einer wird's schon machen. Andere versuchen dich zu überreden. Schieß doch mal, ein' zwei Schuss! Los komm...
Komm wir trinken erstmal Einen!
Habe noch nie einen Schuss gemacht.
Andere sagen, man kann nicht mehr aufhören. Nur Wenige schießen jedes Jahr zwei, drei Schuss und ziehen sich wieder zurück, wäre mir zu heiß.
Aber der Gedanke ist da: mein 50ter Geburtstag rückt näher, der fällt auf Schützenfestsonntag. Soll ich schießen, lieber doch nicht.
Mein Stammtischbruder Erich wird zur Klette. Komm, schieß doch und ich schoss: keine Regung beim Vogel, kein Splittern und ich die Hosen voll vor Aufregung. Zwei drei hinterher, dann erst wieder zurück, Pause, Gewehrlauf heiß...
Die Hände nass, der Magen flau. Was mach ich hier? Aber es hat mich schon gefangen: aber nicht unangenehm. Es ist kaum zu beschreiben. Etwas Angst, dass der Vogel fällt, aber man will es ja eigentlich, aber doch nicht jetzt sofort... Ein Wechselbad der Gefühle, die man irgendwie doch nicht so richtig einordnen kann, aber geil. Etwas wie ferngesteuert, aber du lenkst doch selbst??
Ein Schluck Bier und schon wird man an der Schulter erfasst, komm weiter, los, alles wird gut.
Zurückhaltung... dann kommt Dirk: „Ich helfe Dir..."
Achtung: 1-2-3.
Gewehr fest an die Schulter drücken, es knallt höllisch.
Jetzt, jetzt hat die Sucht gesiegt.
Man kann nicht mehr zurück, nimmt alles ringsum verschwommen war.
Man sieht nur noch den Vogel hoch oben im Kasten.
Spricht er mit mir, will er mir was sagen, nein, ich will das Dingen haben.
Dann kommt ein Anderer, man lässt ihn schießen.
Ich werde nervös, will der auch? Der kann mir doch nicht..., das gibt's doch gar nicht, ich will wieder schießen...
Dann wird das Fernglas gereicht: Unten rechts, mehr links, hoch tief.
Die „Sachverständigen" stehen in großer Anzahl hinter der Umzäunung. |
Man sieht kaum jemanden, man ist einfach stallblind, hin und wieder ein Raunen. |
Dann wieder 1,2,3... und der Vogel fällt.
Es ist unglaublich,
die Hände vorm Gesicht und schon habe ich keinen Boden mehr unter den Füßen, sitzt breitbeinig auf den Schultern der Schützenbrüder, alles jubelt, einige lachen.
Meine Frau kommt zögerlich,
erstes Küsschen,
hat Tränen in den Augen.
Wie soll ich's ihr erklären, hab ja vorher nicht mit ihr gesprochen, keinen Blickkontakt gehabt.
Hände drücken noch und nöcher.
Und dann kriege ich die kleine Königs-Kette und heute weiß ich, dass ich dann in eine andere Welt abgehoben bin.
Es ist geil, diese Kette zu tragen.
Es ist nur die kleine Kette, aber sie sagt Dir: Du bist es, du bist der Hölter Schützenkönig.
Ich hab's ja so gewollt, aber irgendwie kam es dann doch plötzlich, oder?
Jetzt aber erst'nen Schluck und ich werde langsam ruhiger...
Vizekönigsschießen:
Das kann nicht sein, mein Sohn Dennis macht das Rennen. Vater und Sohn, genial! Jetzt weiß ich, wie der sich fühlen muss.
Dann formiert sich der Zug zum Marsch in die Schützenhalle.
Jetzt der Gang in die Höhle des Löwen.
Der Marsch beginnt, Musik und Vorstand voraus,
die Knie werden wieder weich.
Ich trage die Kette voller Stolz, ein einmaliges Gefühl.
Dann der Eintritt in die Schützenhalle, die Musik erschallt laut:
...Preußens Gloria!!!
Jetzt ist absolutes Gänsehautfieber angesagt. Das ist das Größte!!!!
Ab jetzt kannste nichts mehr falsch machen,
der Vorstand steht voll und ganz hinter Dir.
Es erschallt:
Die Hölter haben wieder einen neuen Schützenkönig!
Dein Name wird gerufen, lautes Grölen.
Die große Königskette wird Dir übergeben.
Sie ist des Königs würdig, der ganze Stolz
der Bruderschaft und ich darf sie tragen,
ich der König - es ist schön auf der Welt -
und immer wieder:
„Er lebe hoch"
Ehrwürdige Männer haben diese Kette getragen:
Die Kette trägt in ihren Schildern die ganze Geschichte der Bruderschaft. Sie trägt auch andere Geschichten, die nirgends geschrieben stehen: Einer hat sich samstags erst auf der Bäuerlichen Geld fürs Schützenfest geliehen und montags den Vogel geschossen, ein Anderer hat das geliehene Geld für das Königinnenkleid bis heute nicht zurückgezahlt. Manchmal hoben sie den Richtigen hoch, dann aber auch mal den Gewollten.
Hier darf jeder schießen, egal wie die Vorraussetzungen sind, denn das Dorf trägt seinen König ohne Wenn und Aber.
Die erste Hürde ist genommen.
Dann die Absprache über den Festverlauf, noch mal Gratulation und
ein erstes Durchatmen im Vorstandszimmer.
Derweil ziehen unbemerkt die Nachbarn zu Hause die Fäden.
Auf die kann man sich verlassen, einfach toll.
Der Marsch in die Menge, Musik dirigieren, anstoßen, anstoßen, Hände schütteln, anstoßen und dann bringt mich die Musik schon zu Seemers. Gratulation von Seemers, ein Blumenstrauß, ein zwei Absacker und plötzlich sind wir allein.
Zuhause hängt der Kranz und mich erwischt ein kleines Tief:
War das richtig?
Ich habe kaum Zeit zum Nachdenken. Freunde und Nachbarn stehen uns zur Seite und helfen, schwirren um Dich rum.
Es bleibt nicht viel Zeit, ein kleines Nickerchen...
Der Hofstaat kommt, man umarmt sich, alles geht schnell, dann hört man die Musik im Dorf. Schnell noch ein Gläschen Sekt. Der Zug kommt und jetzt kommt auch Nervosität; oh, oh, jetzt geht's los.
Der Vorstand tritt ein, kurze Ansprache, dann raus am Festzug vorbei, man wird freudig empfangen.
Die Musik spielt, ... das tut so gut und alle Schützenbrüder sind da.
Heute ist es egal, ob mich einer nicht mag, ob sich einer über mich geärgert hat: Sie begrüßen und bejubeln ihre Kette und ihren König, so wie ich auch in den letzten Jahren für jeden König gejubelt und gegrölt habe.
Dann setzt sich mein Festzug in Bewegung.
Große Begeisterung im Dorf, alle jubeln. Hoffentlich hält das Wetter... Freunde und Arbeitskollegen sind gekommen und lassen sich das nicht entgehen und wir sind in der Halle, bevor ich einen klaren Gedanken fasse.
Es folgt das Klopfen der Schützenbrüder: Sie fordern uns auf zum Königstanz, danach ist es vorerst geschafft.
Das Tanzen macht mir wenig aus, ich weiß, dass ich es kann, aber man hat schon was anderes gesehen, ist aber nicht schlimm, muss kein perfekter Walzer sein und Tippeln und Wippeln tut's auch.
Und die Blumen kommen: Oft habe ich sie selber geworfen, jetzt regnen sie auf uns herunter.
Später dann der Kindertanz, Essen usw.. Die Musik spielt mir ein Ständchen, Freunde machen auf meine Kosten Spaß und sie versteigern meine eigens fürs Kränzen geschweißte Pinkelrinne.
Die Musik erklingt: You'll never walk alone...
Es ist ein schönes Fest.
Dann Nachfeier in der Schützenhalle, alle stöhnen, alle lachen. Die Witze der letzten Tage werden verbal gesammelt, noch mal erzählt, genial, die Tränen rollen.
Es folgt das Jahr im Vorstand, ein tolles Gefühl mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten, zu feiern. Die Versammlungen, eine tolle Fahrt stand an, Lachen und Freude pur... einfach schön... Eine ganz tolle Gemeinschaft, gegenseitige Rücksichtnahme und erstaunlicherweise fühle ich mich nicht fremd, sondern geborgen.
Das zweite Jahr:
Kränzen, Samstag Ehrung, Sonntag Festzug, mein Geburtstag, unsere Freunde haben sich mächtig ins Zeug gelegt, das geht schon sehr professionell. Am frühen Morgen gibt's schon Besuch: Die Lyra, wunderbar, und nach dem Frühschoppen beginnt die Spannung, denn es folgt der große Festzug. Diesmal sind alle Frauen in ihren wunderbaren Kleidern dabei. Manche Kleider sind etwas mutig, andere sind vielleicht nicht ganz ideal ausgesucht. Gibt wieder was zu reden, also auch gut. Die Ankunft an der Halle ist ein magischer Moment: Nach dem Anstieg sammelt sich der Festzug, die Trommel gibt den Takt an, die Musik setzt ein, alle suchen wieder den Gleichschritt. An der Tür zur Halle senken sich die Fahnen beim Eintritt, der Klang der Musik verliert seine Helligkeit und gewinnt aufgrund der Halle an Volumen und wir marschieren hinein: Neben mir ist meine Frau, hinter mir sind die Könige, mein Hofstaat, meine Kompanie und die Kette an meinem Hals – in diesem Moment sind große Männer ganz weich und es kribbelt an mir hoch unter runter. Der ganze Tag rast vorbei und ich schwimme im Fluss dieses Tages mit und fühle mich gut und wohl.
Montag:
Wer wird mein Nachfolger?
Ein letztes Mal reiht man sich mit Musikbegleitung bei Seemers zum Marsch unter die Vogelstange in den Festzug ein.
Jetzt wiederholt sich das Ganze, der Kreis schließt sich:
Zum Vogelschießen weggetreten!
Der Königsschuss
Königsschuss, man glaubt es kaum,
ist des Schützens größter Traum.
Hast Du den Königsschuss vollbracht,
freu'n sich die Schützen in ihrer Tracht.
Den Umzug durchs Dorf wirst Du nicht bereuen,
weil die Menschen sich mit Dir freuen.
Voll Stolz blickst Du später dann zurück,
der Königsschuss war doch Dein Meisterstück.
Dann plötzlich fällt der Vogel und ich bin im zweiten Glied angekommen – ein kleines Loch – Erleichterung, irgendwie komisch, aber dennoch schön. Wieder der Marsch in die Schützenhalle. Diesmal aber nimmt man mir die Königskette wieder ab.
Welch ein Gedanke.
Wie sagt man so schön:
Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt.
So fühlt man sich.
Gerade noch König, jetzt Bettler?
Nein, aber man spürt eine kleine Leere.
Plötzlich dreht sich alles um den neuen König.
Es ist schon komisch, es war doch so schön.
Vieles konnte ich planen und das halt mit der Hilfe von der Familie, von Freunden, den Nachbarn und den Königsoffizieren, hat gut geklappt.
Ein schönes Kleid kann man kaufen und meine Frau hat wunderbar ausgesehen.
Aber jedes Schützenjahr hat Momente, die kann man nicht planen und die kann man auch mit Geld nicht bezahlen, dann wirst Du getragen von den Schützenbrüdern und bist so glücklich.
Es war toll, ich bereue nichts.
Es ist viel eingetreten, was manche Vorgänger zuvor berichtet haben.
Ich kenne einen gestandenen Schützenbruder, dem Schützenfest Montag die Tränen in den Augen stehen. Es ist Dünnebacken Heinz: „Schade, morgen ist schon wieder alles vorbei".
Ich verstehe ihn, andere haben das nicht erlebt und können das nicht verstehen, deswegen mein Rat: Schießt, bemüht Euch um dieses Erlebnis und seid ein Jahr König, tragt die Kette und fühlt die ungeheure Energie und Freude eines Königsjahres.
Die Kosten über das Jahr halten sich in Grenzen. Es ist nicht so, wie man schon mal gehört hat. Es war nicht umsonst, aber der erste Tag hebt sich kostenmäßig fast auf, bis auf die Kosten fürs Kleid. Im laufenden Jahr fällt kaum etwas an. Die Teilnahme am Bundesschützenfest ist freiwillig. Das Gemeindeschützenfest bzw. Kreisschützenfest, wenn es in deine Amtszeit fällt, sollte natürlich nicht ausgelassen werden.
Es lohnt sich, es ist doch schön, immer eine tolle Stimmung, alles Gleichgesinnte, dafür bin ich König und dieses Gefühl bleibt bei mir bis zum Ende meiner Tage, es hat lebenslangen Wert. Es ist kein Kostenfaktor, man wirft zusammen. Beim Besuch der anderen Schützenfeste ebenfalls. Man muss es nicht übertreiben. Etwas Arbeit ist natürlich immer dabei. Umbaumaßnahmen fallen immer an, dann ist Arbeitseinsatz gefragt. Sollte man als König zwei linke Hände haben, ist man auch als Verpflegungswart eine gute Kraft.
Und obwohl ich die Kette abgegeben habe, bleibe ich einer von Ihnen: Einmal König, immer König.
Wenn auch ohne Kette.
Dafür habe ich gesehen, dass auf meiner Brust noch etwas Platz neben meinem Königsorden ist: Da würde ein Kaiserorden hinpassen...